No. 4 – INTERVIEW mit DR. BETTINA FACKELMANN (13.03.2012)

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Hallo und herzlich Willkommen zu unserem heutigen Interview bei DEUTSCH IN MAROKKO. Heute begrüße ich Frau Dr. Bettina Fackelmann aus Berlin. Sie ist Beraterin für konstruktive Kommunikation (Coaching, Training, evidenzbasierte Beratung (http://www.bettina-fackelmann.de/pages/Start.de.html)) und hat eine wiederkehrende Gastprofessur an der der Al Akhawayn University in Ifrane (http://www.aui.ma/en/). Außerdem bloggt sie auf der Seite sagwas.net ein Projekt der Friedrich Ebert Stiftung, das sich selbst als „digitales Labor für gesellschaftliche Debatten und Zukunftsthemen“ beschreibt.
Willkommen Frau Dr. Fackelmann. Vielen Dank, dass Sie sich für das Interview Zeit nehmen. Wo erwischen wir Sie denn heute?

Bettina Fackelmann: Guten Morgen, heute nicht aus Berlin, sondern aus dem schönen Meißen, wo ich gestern die Ergebnisse einer Studie zu den Effekten politischer Sprache auf junge Bürger/innen vorgestellt habe, gemeinsam mit fünf ganz wunderbaren Studierenden erstellt: www.sprichst-du-politik.de

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Dr. Fackelmann, Sie sind deutsche Gastprofessorin an der Al Akhawayn University (AUI) in Ifrane Marokko. Was hat Sie, als Kommunikationsexpertin nach Marokko geführt?

Bettina Fackelmann: Das war eher ein großer Zufall: Im Winter 2010/11 kehrte ich von meinem vierten Marokko-Urlaub zurück, Yoga in der Wüste bei Karla Aloisio: http://www.yoga-and-retreat.eu/wir-von-yoga-und-retreat-yam
Zurück in Deutschland, zum Abendessen bei einem guten Freund schwelgten wir in diversen Orient-Erinnerungen und er erzählte mir von dieser englischsprachigen Uni in den Bergen Marokkos. Das klang ziemlich abgefahren, aber interessant.

Ich checkte gleich die Website, sah eine geradezu auf mich maßgeschneiderte Stellenausschreibung und bewarb mich. Das klappte, im März hatte ich meine Probevorlesung. Also habe ich meine Professur an der design akademie berlin aufgegeben und mit einer guten Portion Abenteuerlust im Gepäck dann im August 2011 den Weg nach Ifrane angetreten.

Angenehm ist auch, dass sich diese Lösung mit meiner Selbstständigkeit bislang besser verträgt als mein Teilzeitvertrag vorher – nun gibt es einen klaren Fokus für die Zeit von Januar bis Juli mit Coachings, Teamworkshops und Studien www.bettina-fackelmann.de und von August bis Dezember www.aui.ma.

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Welches Fach unterrichten Sie und welche Themen werden dort behandelt?

Bettina Fackelmann: Im Herbstsemester 2011 waren es drei Kurse: Public Relations (PR), Promotional Communication und Organizational Communication. In jedem Kurs haben wir ein Schwerpunktthema aus der Praxis verfolgt, weil meiner Erfahrung nach dann die Sinnhaftigkeit des Lernens und somit Merkfähigkeit erhöht wird.

In PR war das Krisenkommunikation anhand der marokkanischen Tourismusindustrie. In Promotional Communication haben sich die Studierenden die Heilquelle Moulay Yacoub als Thema ausgesucht; wir sind dort hingefahren, sie haben Interviews geführt und auf Basis dessen eine Kommunikationsstrategie erarbeitet und diese auch vor dem Marketingleiter präsentiert.

In Organizational Communication stand die Universität selbst im Fokus bzw. das Online-Portal für die Studierenden, in dem ihre Daten verwaltet, Kursinformationen, Aufgaben und Noten eingestellt werden. Hier haben sie eine Umfrage unter den Studierenden gemacht; auf Basis dieser Ergebnisse sollen nun tatsächlich Verbesserungen umgesetzt werden.

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Ist „Deutschland“ ein Thema an der Universtität in Ifrane und wenn ja, in welchen Bereichen?

Bettina Fackelmann: Es bestehen seitens Ahmed Legrouri, Vice President for Academic Affairs, sehr gute Kontakte nach Deutschland, vor allem zur TU München, da er selbst dort studiert hat. Außerdem gibt es einen deutschen Club unter den zahlreichen Clubs der Studierenden. An mich wandten sich natürlich auch Studierende, die in Deutschland ein Gastsemester oder Aufbaustudium planten. Ansonsten ist die Belegschaft aber eher marokkanisch/ arabisch und angloamerikanisch geprägt. Es wird ja das amerikanische “liberal arts”-Prinzip verfolgt. So liegt es nahe, vorrangig Lehrende aus den USA und Kanada zu gewinnen oder Marokkaner/innen mit entsprechenden Erfahrungen in diesen Ländern.
Zusammenfassend würde ich sagen: Deutschland ist kein besonderes Thema, Deutsche werden aber – wie es mir in Marokko überall begegnet ist – sehr wertgeschätzt, http://sagwas.net/spricht-deutschland-politik Vielleicht sind die Deutschen auch ein wenig gefürchtet, weil “wir” eben häufig alles durchplanen und sehr perfektionistisch sind … ich nehme mich nicht aus, habe aber auch gelernt, das Prinzip in’schallah zu integrieren;-)

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Was macht Al Akhawayn zu einer Elite-Universität? Und können Sie uns Beispiele nennen, wie die dort erworbenen Kompetenzen der marokkanischen Gesellschaft zu Gute kommen?

Bettina Fackelmann: Vorab: Ich habe keinen direkten, eigenen Vergleich zu anderen marokkanischen Unis. Was ich erkennen konnte, waren relativ kleine Kurse und ein direkter Draht zum Lehrpersonal, das auch vergleichsweise viel Zeit für Sprechstunden anbieten muss, was ich gut finde. Und die Ausstattung ist sehr gut, z.B. die Labors in den Ingenieurswissenschaften (soweit ich das beurteilen kann). Die Bibliothek ist ebenfalls sehr gut ausgestattet und das Personal sehr engagiert. Darüber hinaus haben die Studierenden die Chance, sich vielfältig zu vernetzen in den diversen Clubs und Initiativen. Außerdem ist es ein geschlossener Campus, wo man sich ohnehin häufig über den Weg läuft.

Die Gegebenheiten sind also ziemlich ideal; trotzdem kommt es drauf an, was die/ der Einzelne daraus macht. Seitens der Universität gibt es viele Initiativen, sich auch ehrenamtlich zu engagieren, z.B. durch Bildungs- und Gesundheitsprogramme in der Region Ifrane; manche Clubs haben auch ausschließlich solche Vorhaben zum Ziel.
Jede/r Student/in muss zudem eine Art soziales Praktikum von meiner Erinnerung nach sechs Wochen durchlaufen, was ich angesichts der z.T. doch recht begüterten Familien, aus denen die Studierenden stammen, auch sehr sinnvoll finde.
Mittlerweile denke ich, dass für den Wandel in einer Gesellschaft eine Elite sogar hilfreich ist, siehe http://sagwas.net/eliten-fordern/. Allerdings ist es wichtig, dass sie sich ihrer Bedeutung bewusst ist und verantwortungsbewusst mit ihrer Rolle umgeht. Dafür, scheint mir, könnte es noch mehr Vorbilder geben.

Ich fand meine 66 Studierenden im Schnitt erfreulich gesellschaftskritisch und diskussionsfreudig im Vergleich zu meinen Erlebnissen mit ihren “peers” in Deutschland. “Critical thinking” ist auch ein erklärtes Lernziel an der AUI. Ich denke, sie haben häufig eher mit dem Vorurteil zu kämpfen, verwöhnte, desinteressierte Kinder der Oberschicht zu sein. Natürlich sind sie sehr privilegiert in einem Land mit wirklich z.T. schwer vorstellbaren sozialen Unteschieden – aber bestimmt nicht per se desinteressiert. Ebenso wie in Deutschland sind für sie die Noten der wichtigste Anreiz; das halte ich systemübergreifend für das weit größere Problem: http://ambivalenz-der-macht.tumblr.com/post/944144404/machen-noten-die-freude-am-lernen-kaputt-von-einer-wachs Aber das haben ja nicht sie sich ausgedacht, sondern das jeweilige Bildungssystem.

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Welche interkulturellen Erfahrungen haben Sie als Deutsche an einer marokkanischen Universität gemacht?

Bettina Fackelmann: Natürlich war mir klar, dass mein Dasein als Beschäftigte anders sein würde als als Touristin. Dennoch stellte dieser Wechsel einen gewissen Schock dar, da man Tourist so unglaublich verwöhnt wird … das kann man natürlich gar nicht aufrecht erhalten! Wobei das aufrichtige Interesse an der anderen Person, Höflichkeitsformen in der Begrüßung etc. nicht “verloren gingen” – Dinge, die ich mit Freude nach Deutschland “importiert” habe.

Was ich schnell lernte: Persönliche Netzwerke spielen eine deutlich wichtigere Rolle; man ist also gut beraten, sein eigenes aufzubauen. Oft geht es meines Erachtens auch darum, Vorurteile abzubauen, die sich aus einer anderen Religion ableiten. Mir wurde zum Beispiel erzählt, dass es in Ifrane Bedenken in der Bevölkerung gebe, dass ausländische Professoren die Studierenden missionieren wollen. Ich weiß nicht, ob es sie beruhigt hätte, dass ich konfessionslos bin … Religion ist einfach ein den Alltag deutlich stärker durchdringendes Thema.

Ein anderes wichtiges Thema: Es gibt, auch in gebildeteren Kreisen, ein Zerrbild einer erfolgreichen, aber allein an materiellen Werten orientierten “westlichen” Gesellschaft. Dieses scheint mir seit meinem ersten Aufenthalt in Marokko 2005 größer geworden zu sein: Die Verfügbarkeit “westlicher” Fernsehkanäle, der Sextourismus und das in der Tat manchmal unsensible Auftreten von Tourist/inn/en kreieren ein Bild, mit dem ich mich nicht identifiziere. Mein Alltag ist zumindest wenig von dem geprägt, was ich sehe, wenn ich Soaps, Serials, Talkshows etc. anschaue.

Es ist m.E. die Umkehrung des Problems, das der arabische Raum in Deutschland hat. Natürlich sind nicht alle Muslime radikal, noch nicht mal unbedingt gläubig. Wenn man aber keine persönlichen Begegnungen hat, könnte man dies angesichts des Zerrbildes in den deutschen Medien wohl glauben: http://sagwas.net/miteinander-reden-herr-minister/)
Der Umgang mit Hierarchien ist weit konservativer als in Deutschland heutzutage. Das war aber nicht immer nur Vorteil für mich: Manche Professoren sind halt Diven – nicht nur in Marokko – und man muss als Angestellter der Uni, der ja auch ein Machtpotenzial im Sinne von “Problem erledigen oder nicht” hat, erst kapieren, dass ich persönlich nicht in diese Kategorie falle. Hierarchische Unterschiede werden generell sehr genau gesehen, beachtet und auch genutzt; eine meiner schlechteren Erfahrungen war, dass “meine Studis” – anfangs irritiert von meinem deutlich interaktiveren, ihnen mehr Verantwortung lassenden Lehrstil – sich an meinen Vorgesetzten wandten statt dies mit mir zu besprechen. Sie mussten auch erst lernen, dass meine Art der Führung des Kurses anders ist als der meiner meisten Kolleginnen und Kollegen. Es war für beide Seiten eine interkulturelle Erfahrung, die wir am Schluss alle aber sehr wertgeschätzt haben.

Was an der Stelle aber auch betont werden muss: Wenn man erst mal die Sympathie gewonnen hat, geht es wieder ungeheuer warmherzig und liebevoll zu. Die gemeinsame Verabschiedung der oben genannten drei Kurse zum Beispiel treibt mir heute noch Tränen der Rührung in die Augen; das würde man in Deutschland so nicht erleben. Daher habe ich auch gern versprochen, im Herbst 2012 wiederzukehren.

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Liebe Frau Dr. Bettina Fackelmann vielen herzlichen Dank für die spannenden und sehr informativen Antworten. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Bis bald inshaALLAH und Salama