Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب

Kategorie: Reise und Tourismus

No. 7 – INTERVIEW mit FREERK HEINZ (17.05.2012)

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب : Salamaleikum, guten Abend und herzlich Willkommen bei einem neuen Interview bei DEUTSCH IN MAROKKO. Heute Abend sprechen wir mit einem Herrn aus Berlin , der vergangenes Jahr mit Freunden auf dem Motorrad durch ganz Europa gereist ist, um am Ende einen Urlaub in Marokko zu machen. In seinem Blog MOTOPOLY (http://www.motopoly.de/?p=235) beschreibt er eindrücklich diese spannende Reise und heute Abend berichtet er bei uns über sein Abenteuer.

Der Freerk: Hallo und guten Abend! Schön hier zu sein!

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب : Guten Abend Freerk, viele Grüße aus dem heißen Marokko. Danke, dass du dir heute Abend Zeit nimmst. Wie ist das Wetter in Berlin??

Der Freerk: Wir haben hier die letzten Tage der „Schafskälte“, nachts kann es da noch unter 0° werden, tagsüber 20° und Sonne. Ein ziemlich grosser Spielraum also!
Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب : Dann starten wir direkt mal durch. Du hast vergangenen Herbst mit Freunden eine Motorradtour durch Europa bis nach Afrika gemacht. Warum fiel Eure Wahl für eine Reise mit dem Motorrad auf Marokko?
Der Freerk: Oh, die Idee dazu geht weit zurück. Gemeinsam mit meinem Freund Behrang war ich 2007 in Südosteuropa unterwegs. Schon damals hat Afrika – und dabei speziell Marokko – in unseren Köpfen herumgespukt. In Europa hat man nämlich das Gefühl, dass man niemals weiter als ein paar Kilometer vom nächsten Dorf entfernt ist.
Alles ist reguliert: Wo man sein Zelt aufschlagen darf, was man mit einem Motorrad zu tun und zu lassen hat. Wenn man in Europa an einen Ort will, der besonders schön ist, dann muss man Geld dafür bezahlen. Maut oder Eintritt oder Miete – Eine Gebühr für Schönheit! Da wird Motorradfahren zum Luxus.
Aber im Falle von Marokko hatten wir das Gefühl, dass das ein außergewöhnliches Land ist, in dem auf zwei Rädern noch mehr möglich ist, als hierzulande. Besonders natürlich, weil wir Geländemotorräder fahren. Marokko schien eine gute Mischung zwischen erschlossenem Tourismus und Abenteuer zu sein.
Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب : Wie habt ihr euch auf das Abenteuer vorbereitet?
Der Freerk: Wir mussten uns vor allem finanziell vorbereiten, von der Ausrüstung her ist der Unterschied zu einer Campingreise in Europa nicht groß. Früher war Marokko bei Motorradfahrern ja sehr beliebt, ich habe Geschichten von Fahrern gehört, die zu Hunderten die Fähren in Gibraltar und Almeria geentert haben. Aber heutzutage ist es aus verschiedenen Gründen etwas Besonderes, Marokko zu bereisen.
Von Jahr zu Jahr gibt es in der EU weniger Motorradfahrer, es herrscht ein richtiges Nachwuchsproblem, weil es eben ein teures Hobby ist: Der Führerschein, das Motorrad, das Benzin. Früher war es ein Fortbewegungsmittel der ärmeren Leute, heute ist es genau anders herum.
Auch die politische Lage 2011 hat unsere Planung beeinflusst. Statt im Herbst wollten wir unsere Reise ursprünglich im Frühling antreten. Wir hatten da aber ein Bisschen die Hosen voll, weil wir nicht einschätzen konnten, wie weit es die arabischen Proteste und Aufstände nach Westen treiben würde. Und den Anschlag am Djemaa el Fna im April haben wir natürlich auch mitbekommen.
Als Motorrad fahrender Individualreisender fühlt man sich in unbekannten Umgebungen immer verletzlicher. Man hat ja keine schützende „Blechprivatsphäre“ wie bei einem Auto um sich herum und sitzt auch nicht den ganzen Tag in einer Ferienanlage wie ein Pauschalreisender. Aber das ist natürlich auch der größte Pluspunkt dieser Art zu reisen: Man ist dadurch viel direkter mit Land und Leuten verbunden.
Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: In deinem Blog beschreibst du sehr anschaulich die Etappen eurer Reise. Was hat dich an Marokko am meisten begeistert?
Der Freerk: Dankeschön! Ja, ich habe versucht, den vielen Deutschen, die sich mit ihrem Motorrad noch nicht aus Europa heraus trauen, meine persönlichen Eindrücke zu vermitteln, um so Mut und vor allem Lust auf dieses wunderschöne Land zu machen. Und genau das scheint auch funktioniert zu haben – ich habe unzählige Rückmeldungen bekommen, dass ihnen mein Bericht so gut gefallen hat, dass sie es jetzt auch selbst versuchen wollen.
Aber Marokko macht es einem dabei auch leicht, es gab sooo viele Sachen, die mich begeistert haben. Zum Beispiel die Offenheit der Menschen und die Hilfsbereitschaft Reisenden gegenüber. Generell: Den Wunsch nach Kommunikation mit uns (auch wenn gerade das manchmal nicht so einfach war). Ich hatte ganz oft das Gefühl, den Marokkanern, speziell den jüngeren, auf Augenhöhe zu begegnen. Damit meine ich, dass auf beiden Seiten ein großes Interesse am Gegenüber bestand: Nach Geschichten, Kultur und persönlichen Haltungen. Was denkst Du? Über den König? Über Angela Merkel? Mercedes-Benz, Spanier, Tourismus?
Nach wie vor schwer in Worte zu fassen sind für mich die landschaftlichen Eindrücke. Die waren wirklich UN-GLAUB-LICH! Man müsste kreuz und quer durch Europa reisen, um auch nur einen Hauch dessen zu Gesicht zu bekommen, was Marokko zu bieten hat. Pulsierende Städte, endlose Strände, schneebedeckte Gipfel, flirrende Strassen bis zum Horizont. Tiefe Schluchten und weite Ebenen. Und die Wüste! Mann, davon träume ich heute noch! Das ist für den mitteleuropäischen Verstand absolut unfassbar.

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب : Wie hast du als Tourist, die Menschen in Marokko wahrgenommen?

Der Freerk: Aus meiner Arbeit als Drehbuchautor weiß ich: Eine Geschichte wird erst dann wirklich interessant, wenn der Protagonist, also die handelnde Figur, seine Komfort-Zone verlässt. Das macht der Mensch naturgemäß nicht gerne, in Deutschland und auch in Marokko nicht. Aber nur so kann er sich weiter entwickeln, charakterlich wachsen.
In unseren ersten Tagen in Marokko hatten wir sehr stark das Gefühl, unsere Komfort-Zone, also den Bereich, in dem wir uns auskennen und den wir kontrollieren können, verlassen zu haben. Unsere kleine Reisegruppe war zu dem Zeitpunkt schon auf 6 Personen angewachsen, und die Wahrnehmung der Menschen in Marokko war vom einen zum anderen unterschiedlich.
Zum Beispiel haben wir eine Weile gebraucht, um den Marokkanern ihren Geschäftssinn nicht übel zu nehmen. In Deutschland gibt es eine strickte Trennung zwischen privaten und geschäftlichen Unterhaltungen. Entweder, man redet über das eine, oder über das andere. In Marokko ist das anders, da kann eine freundliche Einladung ganz normal zu einem Angebot werden. Der Schlüssel ist da wie so oft der respektvolle Umgang miteinander. Als das alle in der Gruppe geschnallt hatten, war der Weg frei für die wirklich persönlichen Eindrücke, die ich oben geschildert habe.
Aber das Hauptbedenken deutscher Touristen ist bestimmt der Sicherheitsaspekt. Und da kann ich nur sagen: Wir waren auf unserer Reise wirklich niemals in einer Situation, in der wir uns an einen anderen Ort gewünscht hätten. Und das galt auch für all die anderen Reisenden, die wir unterwegs getroffen haben: Da war zum Beispiel ein deutsches Pärchen, das seit vielen Jahren nach Marokko fährt. Denen ist nie irgendetwas passiert – nur auf dem Weg, in Barcelona, wurden sie regelmäßig beklaut 😀

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Wirst du Marokko wieder bereisen? Schon was geplant?

Der Freerk: Ich werde ganz sicher wieder kommen, inshaALLAH!
Hier in Deutschland gibt es gerade eine Werbekampagne: „Marokko – das Land, das Sie nie wieder loslässt“. Dem kann ich nur uneingeschränkt beipflichten! Seit dem ich ein Motorrad besitze, mache ich damit ein mal im Jahr eine Urlaubsreise – meistens allein. Ich habe zwar einige Freunde, die Motorrad fahren, aber so eine Reise ist ziemlich kompliziert zu synchronisieren, weil man Zeit, Geld UND ein Motorrad braucht. Viele meiner Freunde sind auch selbstständig, und da kann man nicht einfach Urlaub einreichen und losfahren. Aber jetzt, wo wir wissen, was auf der anderen Seite der Straße von Gibraltar auf uns wartet, ist die Motivation natürlich groß!

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Der Freerk ganz herzlichen Dank für das Interview. Ich empfehle euch allen seinen Blog mit dem Reisebericht. Dort gibt es tolle Bilder und Videos. Beeindruckende Aufnahmen, die die Jungs mit ihren an Helmen befestigten Kameras gemacht haben! Das ist auf jeden Fall mindestens einen Blick wert. Ob man nun Motorradfreak ist, oder nicht!! VIele Grüße nach Berlin!! UNd bis bald in Marokko inshaALLAH!!
http://www.motopoly.de/?p=235

Der Freerk: Dir auch vielen Dank! Und viel Spaß beim nachlesen unserer Tour!
Und natürlich auch weiterhin viel Erfolg mit أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب Ich lese immer gerne mit!

No. 4 – INTERVIEW mit DR. BETTINA FACKELMANN (13.03.2012)

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Hallo und herzlich Willkommen zu unserem heutigen Interview bei DEUTSCH IN MAROKKO. Heute begrüße ich Frau Dr. Bettina Fackelmann aus Berlin. Sie ist Beraterin für konstruktive Kommunikation (Coaching, Training, evidenzbasierte Beratung (http://www.bettina-fackelmann.de/pages/Start.de.html)) und hat eine wiederkehrende Gastprofessur an der der Al Akhawayn University in Ifrane (http://www.aui.ma/en/). Außerdem bloggt sie auf der Seite sagwas.net ein Projekt der Friedrich Ebert Stiftung, das sich selbst als „digitales Labor für gesellschaftliche Debatten und Zukunftsthemen“ beschreibt.
Willkommen Frau Dr. Fackelmann. Vielen Dank, dass Sie sich für das Interview Zeit nehmen. Wo erwischen wir Sie denn heute?

Bettina Fackelmann: Guten Morgen, heute nicht aus Berlin, sondern aus dem schönen Meißen, wo ich gestern die Ergebnisse einer Studie zu den Effekten politischer Sprache auf junge Bürger/innen vorgestellt habe, gemeinsam mit fünf ganz wunderbaren Studierenden erstellt: www.sprichst-du-politik.de

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Dr. Fackelmann, Sie sind deutsche Gastprofessorin an der Al Akhawayn University (AUI) in Ifrane Marokko. Was hat Sie, als Kommunikationsexpertin nach Marokko geführt?

Bettina Fackelmann: Das war eher ein großer Zufall: Im Winter 2010/11 kehrte ich von meinem vierten Marokko-Urlaub zurück, Yoga in der Wüste bei Karla Aloisio: http://www.yoga-and-retreat.eu/wir-von-yoga-und-retreat-yam
Zurück in Deutschland, zum Abendessen bei einem guten Freund schwelgten wir in diversen Orient-Erinnerungen und er erzählte mir von dieser englischsprachigen Uni in den Bergen Marokkos. Das klang ziemlich abgefahren, aber interessant.

Ich checkte gleich die Website, sah eine geradezu auf mich maßgeschneiderte Stellenausschreibung und bewarb mich. Das klappte, im März hatte ich meine Probevorlesung. Also habe ich meine Professur an der design akademie berlin aufgegeben und mit einer guten Portion Abenteuerlust im Gepäck dann im August 2011 den Weg nach Ifrane angetreten.

Angenehm ist auch, dass sich diese Lösung mit meiner Selbstständigkeit bislang besser verträgt als mein Teilzeitvertrag vorher – nun gibt es einen klaren Fokus für die Zeit von Januar bis Juli mit Coachings, Teamworkshops und Studien www.bettina-fackelmann.de und von August bis Dezember www.aui.ma.

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Welches Fach unterrichten Sie und welche Themen werden dort behandelt?

Bettina Fackelmann: Im Herbstsemester 2011 waren es drei Kurse: Public Relations (PR), Promotional Communication und Organizational Communication. In jedem Kurs haben wir ein Schwerpunktthema aus der Praxis verfolgt, weil meiner Erfahrung nach dann die Sinnhaftigkeit des Lernens und somit Merkfähigkeit erhöht wird.

In PR war das Krisenkommunikation anhand der marokkanischen Tourismusindustrie. In Promotional Communication haben sich die Studierenden die Heilquelle Moulay Yacoub als Thema ausgesucht; wir sind dort hingefahren, sie haben Interviews geführt und auf Basis dessen eine Kommunikationsstrategie erarbeitet und diese auch vor dem Marketingleiter präsentiert.

In Organizational Communication stand die Universität selbst im Fokus bzw. das Online-Portal für die Studierenden, in dem ihre Daten verwaltet, Kursinformationen, Aufgaben und Noten eingestellt werden. Hier haben sie eine Umfrage unter den Studierenden gemacht; auf Basis dieser Ergebnisse sollen nun tatsächlich Verbesserungen umgesetzt werden.

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Ist „Deutschland“ ein Thema an der Universtität in Ifrane und wenn ja, in welchen Bereichen?

Bettina Fackelmann: Es bestehen seitens Ahmed Legrouri, Vice President for Academic Affairs, sehr gute Kontakte nach Deutschland, vor allem zur TU München, da er selbst dort studiert hat. Außerdem gibt es einen deutschen Club unter den zahlreichen Clubs der Studierenden. An mich wandten sich natürlich auch Studierende, die in Deutschland ein Gastsemester oder Aufbaustudium planten. Ansonsten ist die Belegschaft aber eher marokkanisch/ arabisch und angloamerikanisch geprägt. Es wird ja das amerikanische “liberal arts”-Prinzip verfolgt. So liegt es nahe, vorrangig Lehrende aus den USA und Kanada zu gewinnen oder Marokkaner/innen mit entsprechenden Erfahrungen in diesen Ländern.
Zusammenfassend würde ich sagen: Deutschland ist kein besonderes Thema, Deutsche werden aber – wie es mir in Marokko überall begegnet ist – sehr wertgeschätzt, http://sagwas.net/spricht-deutschland-politik Vielleicht sind die Deutschen auch ein wenig gefürchtet, weil “wir” eben häufig alles durchplanen und sehr perfektionistisch sind … ich nehme mich nicht aus, habe aber auch gelernt, das Prinzip in’schallah zu integrieren;-)

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Was macht Al Akhawayn zu einer Elite-Universität? Und können Sie uns Beispiele nennen, wie die dort erworbenen Kompetenzen der marokkanischen Gesellschaft zu Gute kommen?

Bettina Fackelmann: Vorab: Ich habe keinen direkten, eigenen Vergleich zu anderen marokkanischen Unis. Was ich erkennen konnte, waren relativ kleine Kurse und ein direkter Draht zum Lehrpersonal, das auch vergleichsweise viel Zeit für Sprechstunden anbieten muss, was ich gut finde. Und die Ausstattung ist sehr gut, z.B. die Labors in den Ingenieurswissenschaften (soweit ich das beurteilen kann). Die Bibliothek ist ebenfalls sehr gut ausgestattet und das Personal sehr engagiert. Darüber hinaus haben die Studierenden die Chance, sich vielfältig zu vernetzen in den diversen Clubs und Initiativen. Außerdem ist es ein geschlossener Campus, wo man sich ohnehin häufig über den Weg läuft.

Die Gegebenheiten sind also ziemlich ideal; trotzdem kommt es drauf an, was die/ der Einzelne daraus macht. Seitens der Universität gibt es viele Initiativen, sich auch ehrenamtlich zu engagieren, z.B. durch Bildungs- und Gesundheitsprogramme in der Region Ifrane; manche Clubs haben auch ausschließlich solche Vorhaben zum Ziel.
Jede/r Student/in muss zudem eine Art soziales Praktikum von meiner Erinnerung nach sechs Wochen durchlaufen, was ich angesichts der z.T. doch recht begüterten Familien, aus denen die Studierenden stammen, auch sehr sinnvoll finde.
Mittlerweile denke ich, dass für den Wandel in einer Gesellschaft eine Elite sogar hilfreich ist, siehe http://sagwas.net/eliten-fordern/. Allerdings ist es wichtig, dass sie sich ihrer Bedeutung bewusst ist und verantwortungsbewusst mit ihrer Rolle umgeht. Dafür, scheint mir, könnte es noch mehr Vorbilder geben.

Ich fand meine 66 Studierenden im Schnitt erfreulich gesellschaftskritisch und diskussionsfreudig im Vergleich zu meinen Erlebnissen mit ihren “peers” in Deutschland. “Critical thinking” ist auch ein erklärtes Lernziel an der AUI. Ich denke, sie haben häufig eher mit dem Vorurteil zu kämpfen, verwöhnte, desinteressierte Kinder der Oberschicht zu sein. Natürlich sind sie sehr privilegiert in einem Land mit wirklich z.T. schwer vorstellbaren sozialen Unteschieden – aber bestimmt nicht per se desinteressiert. Ebenso wie in Deutschland sind für sie die Noten der wichtigste Anreiz; das halte ich systemübergreifend für das weit größere Problem: http://ambivalenz-der-macht.tumblr.com/post/944144404/machen-noten-die-freude-am-lernen-kaputt-von-einer-wachs Aber das haben ja nicht sie sich ausgedacht, sondern das jeweilige Bildungssystem.

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Welche interkulturellen Erfahrungen haben Sie als Deutsche an einer marokkanischen Universität gemacht?

Bettina Fackelmann: Natürlich war mir klar, dass mein Dasein als Beschäftigte anders sein würde als als Touristin. Dennoch stellte dieser Wechsel einen gewissen Schock dar, da man Tourist so unglaublich verwöhnt wird … das kann man natürlich gar nicht aufrecht erhalten! Wobei das aufrichtige Interesse an der anderen Person, Höflichkeitsformen in der Begrüßung etc. nicht “verloren gingen” – Dinge, die ich mit Freude nach Deutschland “importiert” habe.

Was ich schnell lernte: Persönliche Netzwerke spielen eine deutlich wichtigere Rolle; man ist also gut beraten, sein eigenes aufzubauen. Oft geht es meines Erachtens auch darum, Vorurteile abzubauen, die sich aus einer anderen Religion ableiten. Mir wurde zum Beispiel erzählt, dass es in Ifrane Bedenken in der Bevölkerung gebe, dass ausländische Professoren die Studierenden missionieren wollen. Ich weiß nicht, ob es sie beruhigt hätte, dass ich konfessionslos bin … Religion ist einfach ein den Alltag deutlich stärker durchdringendes Thema.

Ein anderes wichtiges Thema: Es gibt, auch in gebildeteren Kreisen, ein Zerrbild einer erfolgreichen, aber allein an materiellen Werten orientierten “westlichen” Gesellschaft. Dieses scheint mir seit meinem ersten Aufenthalt in Marokko 2005 größer geworden zu sein: Die Verfügbarkeit “westlicher” Fernsehkanäle, der Sextourismus und das in der Tat manchmal unsensible Auftreten von Tourist/inn/en kreieren ein Bild, mit dem ich mich nicht identifiziere. Mein Alltag ist zumindest wenig von dem geprägt, was ich sehe, wenn ich Soaps, Serials, Talkshows etc. anschaue.

Es ist m.E. die Umkehrung des Problems, das der arabische Raum in Deutschland hat. Natürlich sind nicht alle Muslime radikal, noch nicht mal unbedingt gläubig. Wenn man aber keine persönlichen Begegnungen hat, könnte man dies angesichts des Zerrbildes in den deutschen Medien wohl glauben: http://sagwas.net/miteinander-reden-herr-minister/)
Der Umgang mit Hierarchien ist weit konservativer als in Deutschland heutzutage. Das war aber nicht immer nur Vorteil für mich: Manche Professoren sind halt Diven – nicht nur in Marokko – und man muss als Angestellter der Uni, der ja auch ein Machtpotenzial im Sinne von “Problem erledigen oder nicht” hat, erst kapieren, dass ich persönlich nicht in diese Kategorie falle. Hierarchische Unterschiede werden generell sehr genau gesehen, beachtet und auch genutzt; eine meiner schlechteren Erfahrungen war, dass “meine Studis” – anfangs irritiert von meinem deutlich interaktiveren, ihnen mehr Verantwortung lassenden Lehrstil – sich an meinen Vorgesetzten wandten statt dies mit mir zu besprechen. Sie mussten auch erst lernen, dass meine Art der Führung des Kurses anders ist als der meiner meisten Kolleginnen und Kollegen. Es war für beide Seiten eine interkulturelle Erfahrung, die wir am Schluss alle aber sehr wertgeschätzt haben.

Was an der Stelle aber auch betont werden muss: Wenn man erst mal die Sympathie gewonnen hat, geht es wieder ungeheuer warmherzig und liebevoll zu. Die gemeinsame Verabschiedung der oben genannten drei Kurse zum Beispiel treibt mir heute noch Tränen der Rührung in die Augen; das würde man in Deutschland so nicht erleben. Daher habe ich auch gern versprochen, im Herbst 2012 wiederzukehren.

Deutsch in Marokko – Allemand au Maroc – أَلْمانِيّ فِي المَغْرِب: Liebe Frau Dr. Bettina Fackelmann vielen herzlichen Dank für die spannenden und sehr informativen Antworten. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Bis bald inshaALLAH und Salama